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Album Info
Label: Ariola-Athena
Liner Notes:»Und immer, wenn sie einen Menschen sahen, schossen sie auf ihn. Und immer war das ein Mensch, den sie gar nicht kannten. Und der ihnen nichts getan hatte. Aber sie schossen auf ihn...«
Diese Worte aus dem Prosastück »Die Kegelbahn«, das unsere Langspielplatte einleitet, offenbaren unmißverständlich das große Thema jenes begabten jungen deutschen Dichters, der so früh diese Welt verlassen mußte, die ihm so viel Leid brachte und die er doch so verzweifelt liebte: Wolfgang Borchert. Im November 1947 trug man ihn zu Grabe, den Sechsundzwanzigjährigen, der sich mit den wenigen Erzählungen und Gedichten, die er hinterließ, einen Namen in der deutschen Literatur gemacht hat. Hie und da nannte man Borchert einen Nihilisten und bediente sich dabei eines Scheinargumentes. Denn Nihilismus lag allein in jenen Methoden, deren sich die Verantwortlichen für das große Völkermorden bedienten. Nicht der Dichter, der diesen Wahnsinn schildert, kann ein Nihilist sein, sondern jene sind es, die solchen Wahnsinn auslösten. Im Protest, im Aufschrei weist sich dieser junge Dichter als Anwalt des Menschen aus, der JA sagte, wo das NEIN zum Prinzip erhoben wurde: JA ZUM LEBEN. So wurde er zum Sprecher einer auf den Schlachtfeldern geopferten Generation nachdem sein Name nach Kriegsende wie ein Blitz am düsteren Firmament der deutschen Literatur erschienen war, einer Literatur, die dem staunenden Ausland damals nur leere Schubladen zu bieten hatte. Gewiß, auch in Borcherts Schublade lag nicht viel. Die Diktatoren, die er so glühend haßte, ließen ihm keine Zeit mehr zum Schreiben, als sie in ihm den leidenschaftlichen Widersacher gegen das Regime erkannt hatten. Als zwanzigjähriger Rekrut sandte er, ungeachtet der eigenen Sicherheit, anklägerische Briefe nach draußen, Briefe, die den Wahnsinn und die Hybris der Machthaber anprangerten, Zeugnisse gegen Terror und Unmenschlichkeit. Der drohenden Verhaftung entging er vorläufig durch Fronteinsatz in Rußland. Schwerkrank und verwundet kam er über das Lazarett ins Gefängnis. Und in Nürnberg wurde über ihn zu Gericht gesessen, die Todesstrafe beantragt. Sechs lange Wochen verbrachte er in Einzelhaft. Dann kam die Nachricht von der Begnadigung. Und wieder ging es nach Rußland, dann zurück in die Garnison. Schließlich wurde er von [/] einem Fronttheater engagiert. Aber wieder schlug das Schicksal zu. Nachdem er wegen einiger Flüsterwitze denunziert worden war, verhaftete man ihn und brachte ihn in ein Berliner Gefängnis. Neun Monate saß er dort allein in seiner Zelle, hilflos den furchtbaren Bombenangriffen ausgeliefert. Wenige Tage vor Kriegsende war es ihm vergönnt, das Gefängnis zu verlassen. Als Todkranker gelangte er im Mai 1945 nach Hamburg ins Elternhaus. In den zwei Lebensjahren, die ihm noch blieben, schrieb er sich dann unter qualvollen Schmerzen alles Leid von der Seele. In einem zermürbenden Wettlauf mit dem Tode schuf er ein Werk, das seinesgleichen im Bereich der jungen deutschen Literatur sucht: Jedes Wort eine Anklage gegen den Krieg, jedes Wort ein verzweifelter Aufschrei, jedes Wort eine heilige Bitte um Frieden, Menschlichkeit und Güte. Sein Antikriegsstück »Draußen vor der Tür« machte ihm über Nacht im In- und Ausland bekannt. Aber er durfte diesen Triumph nicht mehr erleben. Einen Tag vor der Uraufführung starb er im Basler Claraspital. Das Erlebnis des Infernos, dessen Grauenhaftigkeit er in überreichem Maße am eigenen Körper erfahren mußte, hatte ihn physisch und psychisch zugrunde gerichtet. Das Werk Borcherts fand ein überraschendes Echo. Wenige Jahre nach seinem Tode gab es in dreißig Ländern Übersetzungen. Die scharfe Beobachtungsgabe, die Fähigkeit, Situationen—und nicht nur realistischen Vordergrund, sondern auch seelische Hintergründe —in knappen Strichen zu umreißen, die Einfachheit des Stils, der die leidenschaftliche Anteilnahme des Autors am Geschilderten keineswegs verbirgt, verweisen ihn in die Nähe eines Hemingway und — man verzeihe den gewaltigen Sprung — Georg Büchner. Ebenso wie Hemingway bediente sich Borchert der kurzen Prosaform, und ebenso wie Büchner schrie er das Entsetzen der mißhandelten Kreatur in eine stumpf gewordene Welt. Doch nie war Borchert Epigone, er war aggressiver als alle, die nach ihm kamen, er übertraf seine literarischen Vorbilder an Eindringlichkeit und Unbändigkeit. Aber auch versteckter Humor zeigt sich in seinen Werken, ein Humor, der vom Einverständnis mit menschlichen Schwächen bis zur Ironie angesichts allzu menschlicher Unzulänglichkeit reicht. Ein überzeugendes Beispiel hierfür ist die Geschichte »Schischyphusch« (auf unserer Platte leicht gekürzt).
Vorderseite: Manfred Vormstein
Das Tragisch-Groteske zweier wesenverschiedener Menschen, die nur ein gemeinsamer Sprachfehler verbindet, bestürzt durch die Trauer der vom Leben Benachteiligten. Hier läßt sich Borcherts erzählerische Größe voll und ganz ermessen. Möge seine Botschaft, die alle Höhen und Tiefen des Menschseins in sich birgt, durch die Stimme eines großen Schauspielers an die Ohren aller Menschen guten Willens dringen.
WILL QUADFLIEG stammt aus Oberhausen im Rheinland. Er besuchte das Gymnasium bis zum Abitur und nahm dann in Mülheim an der Ruhr — zunächst ohne Wissen des Vaters — Schauspielunterricht. In seiner Heimatstadt stand er zum ersten Mal in einer kleinen Rolle auf der Bühne.
Ober Gießen, Gera und Düsseldorf führte der weitere Weg des hochgewachsenen, gut aussehenden und intelligenten jungen Mannes nach Berlin, zunächst zu Eugen Klöpfer an die Volksbühne, dann zu Heinrich Georges Schiller-Theater. Hamlet, Tasso, Don Carlos, Clavigo, Romeo und Orest waren und sind seine großen Rollen. Rhythmus und Glanz der Sprache, gegliedert vom Intellekt und beseelt von brennender Leidenschaft, dazu eine Körperbeherrschung von nahezu tänzerischer Eleganz sind die Merkmale seines kultivierten Darstellungsstils. Ein großes Publikum kennt ihn aus zahlreichen Filmen (wie »Die Zaubergeige«, »Das Herz der Königin« und »Moselfahrt aus Liebeskummer«), doch hat er auch als Bühnenkünstler, der er vornehmlich ist. eine ganz ungewöhnliche Resonanz; Tausende haben ihn als »Jedermann« bei den Salzburger Festspielen oder als »Faust« in der Gründgens-Inszenierung des Deutschen Schauspielhauses in Hamburg gefeiert.
Will Quadflieg ist nicht nur Interpret klassischer Dichter; sein Interesse gilt genauso der modernen Literatur. Er selbst hatte die Idee, eine Langspielplatte mit Prosa Wolfgang Borcherts zu besprechen. Seine unsentimentale, unpathetische, freilich nur scheinbar kühl registrierende Vortragsweise entspricht genau dem Charakter dieser erschütternden Stücke. Die Erzählung »Schischyphusch« hingegen gibt dem Künstler Gelegenheit zur virtuosen Entfaltung seiner Mittel, wobei es für manchen Hörer überraschend sein mag, Quadflieg einmal von einer ganz anderen Seite kennenzulernen.